Sehr geehrtes Publikum,
ich begrüße Sie herzlich heute – am Tag der offenen Wirtschaft – zur Eröffnung der Ausstellung des Malkastens Warendorf in der Wirtschaftskanzlei Alpmann Fröhlich. Die letzte Gemeinschaftsausstellung des Malkastens Warendorf fand 2009 im Sozialgericht Münster statt. Es ist fantastisch, dass nun die Kanzlei dem Malkasten die Möglichkeit bietet, ihre Arbeiten zu zeigen.
Der Malkasten Warendorf wurde in den 90er Jahren von dem Künstler Günter Wintgens gegründet und wird mittlerweile in Zusammenarbeit von Wintgens und der Künstlerin Susanne Koheil betrieben. Zuerst entstand das Atelier in Freckenhorst, im Lockdown kam ein online Atelier dazu und seit drei Jahren gibt es das Atelier in Everswinkel. Dahinter steckt – passend zum Tag der offenen Wirtschaft – ein Erfolgsrezept. Günter Wintgens und Susanne Koheil haben mit dem Malkasten Warendorf ein sehr hohes Level erreicht.
„Male Dich glücklich – nach allen Regeln der Kunst“ – so steht es auf der Website. Ein Versprechen, das offenbar gehalten wird, denn die meisten Teilnehmer*innen sind bereits lange dabei.
Günter Wintgens und Susanne Koheil motivieren Menschen dazu, sich zu trauen. Ihr Konzept funktioniert anders als bei üblichen Mal- und Zeichenkursen, die über einen definierten Zeitraum laufen. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten über Jahre zusammen – ähnlich wie an den Kunstakademien. Wenn man sich einmal entschlossen hat, mitzumachen, bleibt man in der Regel. So entstehen Synergieeffekte und Freundschaften und ein nachhaltiger Lernprozess. Manchmal arbeiten die Schülerinnen und Schüler mehrere Monate oder Jahre an Bildern. Die Arbeiten werden auch besprochen – wie an der Kunstakademie. Dazu kommt eine kunsthistorische Komponente. Günter Wintgens und Susanne Koheil klären über Aspekte der Kunstgeschichte auf. Welcher Künstler hat schonmal ähnlich gemalt? Wer hat diese Technik verwendet?
Wir sehen hier fast ausschließlich Künstlerinnen. Bis auf Günter Wintgens sind all dies weibliche Positionen. Die Schülerinnen haben sich in ihrer Freizeit ein beachtliches Repertoire künstlerischer Techniken und Mittel erarbeitet.
Machen Sie sich das bitte bewusst, wenn Sie durch die Räume gehen. Bis auf Günter Wintgens und Susanne Koheil, die hauptberuflich Künstler sind, haben wir es mit Menschen zu tun, die sehr viel Zeit und Energie in das Malen stecken – neben ihrer Hauptbeschäftigung.
Günter Wintgens studierte in den 70ern an der Kunstakademie Münster. Ende der 80er bekam er dort einen Lehrauftrag für Malerei und hatte einige Zeit ein Atelier in Düsseldorf. Doch es zog ihn zurück in das Münsterland, wo er den Malkasten Warendorf gründete.
In dieser Ausstellung zeigt er drei Tondi, also runde Arbeiten. Auf dem Sperrmüll, so erzählte er es mir, hat Wintgens in den 80ern runde Holzflächen gefunden und dachte sich: „Damit kann man doch was machen.“ Das Format bot ihm besondere Möglichkeiten: Der Topos der Instabilität zieht sich bei der runden Form durch. Es fehlen die räumlichen Orientierungspunkte – die Senkrechte und die Waagerechte.
Einer der Tondi trägt den Titel „View DU“ (1996). Mit DU ist Duisburg gemeint – die Geburtsstadt des Künstlers. Die Momentaufnahme im Bild – nämlich der Blick von einer Brücke – ist mit Wintgens‘ Biografie verbunden. Diese Brücke befuhr er häufig. Der Ausblick ist zum Niederrhein gerichtet, wo seine Mutter wohnte. Es ist ein alltäglicher Eindruck.
Wintgens zeigt nicht die unberührte Natur, sondern die veränderte Landschaft durch Zivilisation: mit Asphalt und Steinbauten, mit Acker und Nutzflächen. In weiteren Rundbildern mit dem Titel „View C.S.“ (1995) zeigt er ebenfalls die vom Menschen gemachte Landschaft. CS – Hinter der Abkürzung verbirgt sich die Costa Smeralda, ein Urlaubsziel in Sardinien.
Die Ausschnitte, die Wintgens in seinen Rundbildern malt, sind Momentaufnahmen. Sie rücken die Dinge in den Vordergrund, die vermeintlich banal sind, z.B. ein wolkenloser Himmel, der graue Asphalt oder ein großer Felsbrocken. Besonders beim „View C.S.“ geht es um den Blick eines Außenstehenden aus einer erhöhten Betrachterposition.
Anfang der 2000er begann Susanne Koheil im Malkasten Warendorf zu malen. Sie wurde schnell eine professionelle Künstlerin. In der Ausstellung werden Papierarbeiten aus zwei Werksträngen präsentiert.
Schon seit ihrer Kindheit befasst sie sich mit Spielfilmen. Besonders interessiert sie sich für den Vor- und Abspann eines Filmes und für Untertitel. Susanne Koheil setzte Filmstills eines Vorspanns in Tusche um. Oft wirkt das so, als seien die Filmstills eins zu eins übernommen worden. Es gibt aber subtile Änderungen, die nicht auffallen. Das Publikum nimmt das Gegebene hin. Es geht also um eine Hinterfragung der Realität. Am Beispiel Film lässt sich das durchexerzieren. Es werden Drehbücher geschrieben, Sets aufgebaut, Schauspieler*innen engagiert und alles wird abgedreht. Am Ende, so erklärte es mir Susanne Koheil, bleibe ein Filmstreifen, der als zweidimensionales Objekt, die Illusion einer dreidimensionalen Welt beinhaltet.
Der zweite Werkstrang von Susanne Koheil in dieser Ausstellung ist ziemlich neu. Diese Arbeiten entstanden mit dem Morsecode und der Schreibmaschine auf Papier. Der Code wurde früher genutzt, um Botschaften telegrafisch zu übermitteln. Heute kennt man eine Abwandlung als „Morsen“, z. B. bei Notfällen. Koheil selbst beherrscht den Code nicht. Das ist der Knackpunkt: Der Code ist für sie Ausdruck dessen, was sie nicht versteht. Sie nutzt Texte aus Filmen und Musik, setzt an bestimmten Stellen Worte ein. Nur noch Fragmente bleiben übrig, die für die Künstlerin eine Essenz des Textes bilden. Beide Werkreihen – die Filmvorspänne und die Codes – bieten uns Zugang zu philosophischen Fragen.
Nehmen wir den Vorspann des Films „Flying down to Rio“ von Koheil. Sie visualisiert darin Zeit, nämlich den Moment im Film, wenn ein Bild sich ändert und durch den Einschub des nächsten Bildes überblendet wird.
Bewegungen waren in den ersten Filmen noch recht steif. Marcel Duchamp, ein wichtiger Künstler des 20. Jahrhunderts, malte 1912 einen „Akt Treppe heruntersteigend“. Das Gemälde wirkt kubistisch und futuristisch, die Bewegungen maschinell. Der Akt ist stark abstrahiert. In dem Bild ist die gesamte Bewegung des Hinabsteigens in Phasen aufgeteilt.
Die Verknüpfung aus Bewegung und Zeit im Bild finden wir in dieser Ausstellung auch bei Arbeiten von Kristina Schäfer. Sie hat bereits 1989 Malkurse von Günter Wintgens besucht. Auf zwei Schwarzweiß-Arbeiten sind Tänzerinnen und Tänzer abgebildet. Es gibt ein Original dazu: Eine Sekt-Werbung mit Ballettänzern. Kristina Schäfer verzichtete auf die Graustufen des Originals und überführte es in einen neuen Kontext: Nun wirkt das Ganze wie ein Totentanz. Die Bewegungsabläufe erinnerten mich an Marcel Duchamp. Obwohl es sich nicht um die Abfolge einer Bewegung handelt, sondern um mehrere Tänzerinnen und Tänzer, bleibt die zeitliche Ebene im Bild zentral. Die Posen sind Anfangs- oder Endpositionen.
Neben diesen Arbeiten hängt eine Graphitzeichnung von Karin Stell. Sie besuchte verschiedene Kurse und ist seit 2023 im Malkasten Warendorf aktiv. Auf der Zeichnung schwebt eine Möwe mit ausgebreiteten Flügeln. Sie scheint gerade erst hochgeflogen zu sein, denn von ihren Füßen tropft noch Wasser. In ihren Arbeiten hier in der Ausstellung scheint ein Thema vorherrschend: das Schweben. Ob bei der fliegenden Taube oder einem gleitenden Luftballon oder bei einem abstrahierten Meeresblick mit einer fast schwebenden Insel im Hintergrund.
Der Blick auf das Wasser begegnet uns öfter in der Ausstellung. Mehrere Seestücke stammen von Reinhild Niehoff. Auch sie ist seit den Anfängen des Malkastens an Bord. Das Ölgemälde „Nordsee bei Ebbe“ fasst auf malerische Weise die Weite der Nordsee. Der Malstil ist fast impressionistisch, keine Details sind erkennbar. Es geht nicht um fotografische Abbildung, sondern um das Gefühl für die Weite.
Daran schließt sich ein Thema an, das die Malerei seit dem Aufkommen der Fotografie beschäftigt. Damals stellte sich die Frage, was die Malerei noch leisten kann, wenn die Fotografie das vermeintlich objektive Abbild der Realität liefert. Dass die Fotografie das nicht zwingend macht, wissen wir. Aber dennoch: es gab und gibt Diskussionen um die Aufgaben der Malerei. Ist es noch legitim, gegenständlich zu malen? Muss Malerei abstrakt sein?
Der Malkasten Warendorf ist eben genau das: ein Malkasten mit allen Optionen. Es geht um Malerei – ein umkämpftes Feld seit der Moderne.
Die Arbeiten in dieser Ausstellung präsentieren verschiedene Zugänge zur Malerei – abstrakt, figurativ und Abstufungen dazwischen. Es geht selten um eine Übertragung der Realität. Oft stellt sich stattdessen ein Gefühl oder eine Stimmung ein.
Auch Monika Halverscheid schafft das in ihrer Malerei. Ihre Motive sind meist gegenständlich: Stillleben, Portraits, Architekturen und Landschaften. Ein besonders eindrucksvolles Ölgemälde trägt den Titel „Steinstrand“ (2006). Der fotografische Ausschnitt wird kombiniert mit einer stofflichen Darstellung des Wassers und der Steine. Sie können durch die Wasseroberfläche hindurch blicken. Der Meeresschaum zwischen den Steinen wirkt fast greifbar und das Rauschen des Wassers hörbar.
An der Wand daneben ist ein Ölgemälde in Graustufen von Elisabeth Richter zu sehen. Es passt in Bezug auf Malstil und Ausschnitthaftigkeit zu dem Gemälde von Monika Halverscheid, erzeugt aber in Farbigkeit und Thema eine Spannung. Zu sehen ist ein Detailausschnitt: ein Blick auf mehrere Lagen Stacheldraht, die in allen Schattierungen, Lichteffekten und Reflexionen dargestellt sind. Der Titel lautet „Freiheit“ – ein Widerspruch zum Dargestellten. Es handelt sich um einen Teil des Drahtes der Berliner Mauer. Im „Haus der Geschichte“ in Bonn war dieser Stacheldraht in einer Glasvitrine ausgestellt. Elisabeth Richter stellt nicht nur den Stacheldraht dar, sondern auch die Spiegelung der Vitrine. So verbinden sich mehrere Zeitebenen miteinander: Die Gegenwart von uns, die das Gemälde ansehen und die Vergangenheit in mehreren Phasen: Die erste Ebene ist die DDR, die zweite Ebene ist die Geschichte des Exponates, das museal konserviert und wissenschaftlich eingeordnet wurde. Die dritte Ebene ist das Entdecken des Exponates in der Vitrine. Diese Ebenen machen das Gemälde so raffiniert.
Raffiniert ist auch ein schmales Hochformat mit dem Titel „Durchblick“ von Beate Hannig-Grethlein. Sie ist seit 20 Jahren im Malkasten Warendorf aktiv. Die Äste im Vordergrund verstellen den Blick und verstärken die Tiefenwirkung. Die Landschaft im Hintergrund ist stark verschwommen. Der Kontrast zwischen Schärfe und Unschärfe im Vorder- und Hintergrund ist ein beliebtes Mittel, um Tiefe zu erzeugen.
Der verstellte Blick taucht auch bei Sigrun Brüssow auf. Sie ist seit 30 Jahren Teilnehmerin des Malkastens. Auf einem Ölgemälde sind Mangroven zu sehen, also Salzpflanzen an tropischen Küsten, die für ihre verzweigten Wurzelsysteme bekannt sind. Besonders spannend sind Perspektive und Komposition des Bildes. Zweige verstellen den Blick aus einer erhöhten Position auf eine Art Pfütze. In der Wasseroberfläche spiegeln sich die Äste. Das Gesamtbild scheint auf den ersten Blick nicht fassbar. Das gegenständliche Motiv wird in Einzelheiten fast abstrakt.
Und damit kommen wir zu den abstrakten Positionen dieser Ausstellung. Eine Arbeit von Gitta Gausepohl im Gang ist hauptsächlich in Grüntönen gemalt. Sie hat Kunst studiert und malt seit den 90ern. Auf dem Bild „Das Grün“ sind unterschiedlich große organische Formen in verschiedenen Grüntönen angeordnet. Mal rundlicher, mal eckiger, mal flächiger, mal mit mehr Struktur. Die Formen überlagern sich und zeichnen sich auch durch eine große Vielfalt an Konturen aus. Hier setzt sich das sogenannte All-Over-Prinzip durch. Dabei kann es zwar Schichten geben, aber alle Bildelemente sind gleichwertig und könnten über den Bildrand hinaus fortgeführt werden.
Das All-Over-Prinzip ist stark mit Jackson Pollock verbunden. Der Einfluss des bekannten Künstlers zeigt sich auch in den Arbeiten von Anna-Liese Black. Sie entstanden teilweise durch das sogenannte „Dripping“. Jackson Pollock machte es berühmt. Er legte den Bildträger auf den Boden und ließ die Farbe aus Eimern darauf tröpfeln. Die Reihe „Spuren“ von Anna-Liese Black kann als spielerische und künstlerische Entdeckungstour verstanden werden. Geschwungene Linien, die sich kreuzen bilden Räume für Farben oder Leerstellen. Getropfte Farbe ergänzt die abstrakte Bildkomposition. Bei den Drip-Paintings von Pollock spielt der Zufall eine wichtige Rolle – so sicher auch in den kleinformatigen Arbeiten von Anna-Liese Black. Sie hat Kunstgeschichte und Kunstdidaktik innerhalb der Pädagogik studiert.
Eine weitere abstrakte Position stammt von Joana Fischer. Sie hat an der Kunstakademie Münster Kunst studiert und lebt mittlerweile in Miami. Ihre abstrakten Arbeiten verbinden organische Formen mit Zeichnungen von Ästen und geometrischen Formen. Sie trägt Tusche und Acryl auf Folie in mehreren Schichten auf, sodass sich Farben und Formen gegenseitig durchdringen und überlagern.
Gegenständlichkeit und Abstraktion liegen oft näher beieinander, als man denkt. Viele Künstlerinnen und Künstler beherrschen beide Darstellungsformen, so auch Beatrix Rieping. Sie ist Architektin und malt seit 2009 im Malkasten Warendorf. Zwei ihrer Ölgemälde hier sind gegenständlich. Sie zeigen in fotorealistischer Malweise Baustellen.
Mit der Technik des Linoldrucks reduzierte sie in anderen Arbeiten die Koordinaten eines Raumes bis auf das Wesentlichste. Konzentration auf den Raum – das ist das Thema der Architektin. Zwei kleinformatige Linolschnitte wirken wie Farbfeldmalerei. Die räumliche Dimension wird durch eine Horizontlinie erzeugt.
Ich möchte mit einem kurzen Kommentar zu einem Aquarell von Azadeh Nori schließen. Sie ist das neuste Mitglied im Malkasten Warendorf und hat eine Farbpalette gemalt. Ihr Aquarell illustriert die Freude am Malen, die diese Gemeinschaftsausstellung repräsentiert. Azadeh Noris Palette vermittelt einen Eindruck von vielen Stunden gemeinsamer Arbeit.
Deutlich zeigt sich auch bei ihr ein Aspekt, den mir Günter Wintgens und Susanne Koheil für die Arbeit im Malkasten Warendorf nannten. Es sei wichtig, dass die Schülerinnen einen Malstil entwickeln, der aus ihnen selbst herauskommt. Es ginge nicht darum, dass die Teilnehmer*innen am Ende so malen wie Günter Wintgens und Susanne Koheil. Ein gewisser Einfluss bleibt sicher nicht aus und ist ja auch nicht zu verachten. Aber in der Tat zeigt diese Ausstellung, dass hier viele verschiedene Individuen mit eigenen Ideen, Themen und Herangehensweisen an die Malerei zusammenkommen.
Ich möchte mich noch bedanken bei der Kanzlei Alpmann Fröhlich, die diese Ausstellung möglich gemacht hat. Bei Günter Wintgens und Susanne Koheil und allen Teilnehmerinnen. An der Stelle möchte ich Elisabeth Richter für ihr Vertrauen danken und auch für das Kuratieren der Ausstellung, das sie in Zusammenarbeit mit Reinhild Niehoff übernommen hat.
Und nun wünsche ich Ihnen viel Freude beim Entdecken der Ausstellung und den weiteren spannenden Programmpunkten heute! Vielen Dank!